Home / Zum Nachlesen & Hören / Geld zum Wohle aller - Teil 10/1: Geld ohne Zinsen

Geld ohne Zinsen

Soweit wir alle zurück denken können, war und ist es immer schon selbstverständlich, dass wir, wenn wir uns Geld borgen, für dieses geborgte Geld Zinsen bezahlen. Wir müssen für geborgtes Geld also mehr zurückzahlen, als wir uns ausgeliehen haben. Dass das normal, richtig, logisch, sinnvoll und gerecht ist, ist tief in unserem Denken und Glauben verankert und wird kaum in Frage gestellt. Aber ist das wirklich so und war das immer so? Was hat es auf sich mit den Zinsen? Und könnten wir auf Zinsen eventuell auch einfach ganz verzichten?

 

Die Geschichte mit den Zinsen – mal verboten, mal erlaubt

Das Wort Zinsen kommt vom lateinischen Wort „census“, was wörtlich für Abschätzung, im übertragenen Sinn allgemein für eine Abgabe stand. Im englischen und romanischen Sprachgebrauch ist das übliche Wort für Zinsen „interest“, „intérêt“ oder „interessi“, was sich aus dem Lateinischen „interesse“ – zu Deutsch „dazwischen sein“ ableitet. Die Geschichte des Zinses ist eine sehr lange und bewegte. Aufzeichnungen deuten darauf hin, dass Zinsen in irgendeiner Form zumindest bereits bei den Sumerern um 2400 vor Christus bekannt waren und sogar der Begriff für den Zinseszins in dieser frühen Zeit seinen Ursprung hat. Danach beschäftigten sich Herrscher und/ oder Religionen immer wieder mit diesem Thema. Mal war das Zins nehmen verboten, mal war es erlaubt. War es erlaubt, wurde sehr bald zwischen dem legalen Zins und dem Wucher unterschieden und Obergrenzen für den Zins – also Höchstzinssätze eingeführt. Der Codex Hammurapi aus dem 18. Jahrhundert vor Christus zum Beispiel erlaubte zwar den Zins und bei Nichtzahlung drohte sogar eine Schuldknechtschaft, zur Verhinderung von Auswüchsen führte Hammurapi I. aber auch einen Höchstzins ein, der für Gerste bei 33 1/3 % und für Silber bei 20 % lag. Bereits damals kam somit auch das Kreditrisiko in der Höhe des Zinssatzes zum Ausdruck, denn Gerstenkredite galten wegen des Ernterisikos als riskanter als andere Kredite.

 

Kein Zins bei Krediten an Arme

Ebenso wurde in der Geschichte immer wieder unterschieden, wer Zinsen zahlen musste und wer nicht bzw. von wem Zinsen genommen werden durften und von wem nicht. Das jüdische Bundesbuch verbot zwischen 1000 und 800 vor Christus z.B. den Zins bei Krediten an Arme. Das Deuteronomium (das 5. Buch Mose bzw. das fünfte Buch des jüdischen Tanach wie auch des christlichen Alten Testaments) verlangt: „Du sollst von Deinen Volksgenossen keinen Zins nehmen, weder Zins für Geld, noch Zins für Speise, noch Zins für irgendetwas, was man leihen kann“. Unter „Volksgenossen“ verstand der Tanach nur die Juden und folgerte daraus, dass Juden Kredite an Nichtjuden durchaus gegen Zins verleihen durften. Auch in unserer christlichen Kultur war das Zinsnehmen bei Weitem nicht immer erlaubt. Während im römischen Recht der Zins durchaus bekannt und auch geregelt war, stieß mit Aufkommen des Christentums die Zinszahlung auf heftige Kritik der Kirche, denn in Not geratene bedürftige Personen sollten zinslose Darlehen bekommen. Das kanonische Recht erklärte Zinseinnehmen für Raub und ein Verstoß gegen dieses kanonische Zinsverbot hatte die Exkommunikation, Ausweisung aus der Gemeinde, Verweigerung des kirchlichen Begräbnisses oder Versagung der Absolution zur Folge. Karl der Große erklärte in seiner „Allgemeinen Ermahnung“ (Admonitio generalis) im März 789 das Zinsverbot zum weltlichen Verbot.

 

Der Islam übernahm das christliche Zinsverbot und forderte nach 622 n. Chr. dazu auf, keinen Zins zu nehmen. Nach Sure 2:279 hat der Kreditnehmer dem Kreditgeber nur das Kapital zurückzuerstatten. Bei diesem islamischen Zinsverbot ist es bis heute in der Scharia geblieben. Juden brauchten die christlichen Regeln des Zinsverbots nicht zu befolgen und entwickelten sich deshalb im Hochmittelalter zu Geldverleihern. Ihnen erlaubte die Thora Zinsgeschäfte mit Angehörigen anderer Religionen (Nichtjuden). Aus historischer Sicht hat dieser Umstand wohl bis heute viel mit Vorurteilen gegen Juden zu tun, die in antisemitischen Klischees des raffgierigen jüdischen Geldverleihers und in ihrer Verfolgung durch die Nazis im Dritten Reich kulminierten.

 

In der christlichen Kultur ist das Zins nehmen erst seit rund 500 Jahren wieder erlaubt. Während Heinrich VII. 1512 den Zins (englisch usury) in England noch verbot und alle bisherigen zinstragenden Geschäfte für nichtig erklärte, erließ bereits sein Nachfolger Heinrich VIII. 1545 ein Gesetz, wonach der Zins (interest) als legaler Ausgleich für die Geldnutzung galt, während der Wucher (usury) illegal wäre. Damit legalisierte Heinrich VIII. den Zins in England nach seinem Bruch mit dem Papst. Ein- bis zweihundert Jahre später hatte sich das Recht des Zinsnehmens dann nach und nach in ganz Europa durchgesetzt und wurde auch von der Kirche nicht mehr bekämpft. Im Westfälischen Frieden von 1648 wurden mit 5 % verzinste Darlehen für zulässig erklärt und im Anschluss daran hielt die deutsche Rechtswissenschaft das Zinsverbot für gewohnheitsrechtlich abgeschafft. Die katholische Kirche hob das kanonische Zinsverbot offiziell erst 1822 – also vor nicht mal 200 Jahren – auf.

 

Warum überhaupt Zinsen?

Auch die Begründungen dafür, warum das Zins nehmen rechtens ist, waren dabei in der Geschichte recht unterschiedlich. Das lateinische Wort „interesse“ (deutsch „dazwischen sein“) betraf im Mittelalter einen zu ersetzenden Schaden bzw. auch einen entgangenen Gewinn. In Italien bezeichnete Ferdinando Galiani 1750 den Zins humorvoll als „die Frucht des Geldes“ und als „Preis für das Herzklopfen“ (des Gläubigers). Der österreichische Ökonom Eugen von Böhm-Bawerk (1851–1914) untersuchte als einer der Ersten das Zinsphänomen systematisch. Bei der Untersuchung der Frage, weswegen man überhaupt Zinsen verlangt, stellte er fest, dass das Einkommen im Lauf des Lebens ansteigt und man daher für heute verliehenes Geld in Zukunft auch mehr zurückerwartet, da man sonst nicht bereit wäre, durch das Verleihen von Geld sparsamer sein zu müssen. Zweitens beobachtete Böhm- Bawerk, dass Menschen ihre zukünftigen Bedürfnisse meist unterschätzen und Geld lieber sofort ausgeben („Gegenwartspräferenz“). Um sie dennoch zum Verleihen zu bewegen, müsse man ihnen als Ausgleich Zinsen anbieten. Der dritte Grund für das Verlangen von Zinsen ist nach Böhm- Bawerk darin zu sehen, dass Kapital für die Herstellung von Maschinen eingesetzt werden kann, mit denen hinterher mehr damit hergestellt werden kann als vorher. Es entsteht eine „zusätzliche Ergiebigkeit“, ein Produktivitätszuwachs, und ein Gläubiger kann vom Schuldner erwarten, ihn „angemessen“ daran zu beteiligen. Der Zins ist – nach Böhm-Bawerk – nicht der Preis des Geldes, sondern der Preis für die Zeit und belohnt den Verleiher für eine hypothetische Verschiebung seines Konsums.

 

Zins als Lohn für Nicht-Hortung von Geld und Konsumverzicht

Der ebenfalls österreichische Nationalökonom Ludwig von Mises erklärte den Zins aus den subjektiven Wertungen der Menschen. Sie ziehen die Behebung eines unmittelbaren unbefriedigt seins (etwa Hunger) der Behebung eines künftigen Unbefriedigtseins vor, daher wird eine bestimmte Menge heutiger Güter einer gleich großen Menge künftiger gleichartiger Güter vorgezogen. Da man demnach eine Menge heutiger Güter mit einer größeren Menge künftiger Güter wertmäßig gleichsetzen kann, ergibt sich ein Mengenunterschied zwischen diesen Gütern, der Zins.

 

Nach der Liquiditätspräferenztheorie von John Maynard Keynes beruht Zins auf der besonderen Begehrtheit des Geldes. Nach ihm ist Zins die Belohnung für die Aufgabe von Liquidität über einen bestimmten Zeitraum oder – was das Gleiche ist – für die Nichthortung von Geld. Wer Geld weggibt, gibt – nach Keynes – die Verfügung über Geld als Universalzahlungsmittel auf. Der Vorteil des Geldbesitzes, die Liquiditätsprämie des Geldes, wird beim Kreditgeschäft vom Kreditgeber an den Kreditnehmer verliehen. Für den dabei entgangenen Vorteil lässt sich der Kreditgeber einen Zins bezahlen, welcher die Höhe der Liquiditätsprämie verkörpert. Andere Zinstheorien bezeichneten den Zins als Entschädigung für Konsumverzicht (Abstinenz- oder Enthaltsamkeitstheorie, N. W. Senior, England, 1790–1864), begründeten ihn mit der höheren Begehrtheit flüssiger Zahlungsmittel (Urzins- oder Geld-Mehrwerttheorie, S. Gesell, 1862–1930), oder als den variablen Unternehmensgewinn (J. A. Schumpeter, Österreich, 1883–1950). Der Zins dient außerdem als Vergütung des Rückgabe- oder Rückzahlungsrisikos (Risikoprämie), als Ausgleich für den Kaufkraftverlust des Kreditbetrags bei Inflation und als Ersatz für Opportunitätskosten: Der Gläubiger könnte mit dem verliehenen Kapital selbst wirtschaftlich tätig werden und Gewinne erzielen, für die er sich durch Zins entschädigen lässt. Die entgangenen Gewinne werden als Kosten verstanden. Opportunitätskosten können auch durch einen Konsumverzicht entstehen. Die heutige Volkswirtschaftslehre definiert den Zins als Preis für die befristete Überlassung des Produktionsfaktors Kapital bei Unternehmen und als Kompensation für Konsumverzicht bei privaten Sparern.

 

Mir persönlich gefällt folgende Erklärung sehr gut: Kapital wird von Menschen zur Verfügung gestellt, die Geld haben, aber keine Idee, und sie geben ihr Geld an Menschen weiter, die eine Idee haben, aber kein Geld. So profitiert der Kreditnehmer am Kapital des Geldgebers, weil er seine Idee verwirklichen und damit Geld verdienen kann, und der Kapitalgeber profitiert von der Idee des Kreditnehmers über den Zins oder Kapitalertrag.

 

Es gibt also viele gute Gründe, Theorien und eine lange anerkannte Praxis für die Akzeptanz des Zinsnehmens. Aber können wir das Thema hier wirklich beschließen? Oder hat der Zins auch eine andere Seite, verursacht er Probleme für unsere Wirtschaft, unser Geldsystem, unsere Gesellschaft? Und passt er noch in unsere Zeit?

 

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